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 Madau

Madau - das verschwundene Dorf

von Eva Lechner

[Aus "Tirol" Heft #41, erschienen im Sommer 1993; Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Heimatwerbung-Tirol, Südtiroler Platz 6/V, A-6020 Innsbruck]

 
1 Ende des 18. Jahrhunderts zählte die Bevölkerung von Madau 60 Einwohner, heute ist es nur noch einer.
Madau war einst eine stolze Bergsiedlung im Tiroler Außerfern. Anfang des 19. Jahrhunderts jedoch verließen die Bewohner ihre Höfe. Wenige Gebäude sind erhalten geblieben, und auch diese werden nur während eines kurzen Almsommers belebt.
Eine Besonderheit von Madau ist seine politische Lage. Der Ort wird durch hohe Bergkämme von seiner Heimatgemeinde Zams nahezu abgeschnitten und wäre im topographischen Sinne eher dem Gemeindegebiet von Bach im Außerfern zuzuordnenals dem entfernten Zams bei Landeck.
Kaum bekannt sein dürfte Madau außerdem als jener Platz, an dem Anna Stainer-Knittel einen Adlerhorst ausgenommen und als "Geierwally" durch Buch und Film Berühmtheit erlangt hat.

Madau ist eine Welt hinter der Welt. Abgeschirmt und versteckt. In nächster Nähe zu Gnomen, Saligen Fräuleins und sonstigen Berggeistern.

Wer bereit ist, sich darauf einzulassen, stößt - von Reutte im Außerfern kommend - bei der Ortschaft Bach auf ein Seitental des Lech-Flusses, das erst wieder nach einer sieben Kilometer langen Schlucht nach Luft schnappt. Vom Inntal aus kann eine Abkürzung über den Hahntennjoch-Paß genommen werden, der die Bezirke Imst und Reutte verbindet.

2 Wie heißt es doch? Der Weg ist das Ziel. Das trifft in unserem Falle zu, ganz bestimmt. Die landschaftliche Schönheit des Hahntennjochs ist schwerlich zu überbieten, und der Lech gehört mit seinem ungezähmten Verlauf zu einem der wenigen natürlichen Flußläfe Tirols. Dort, wo das Gestein den Alperschonbach freigibt und eine Passage völlig unmöglich scheint, heißt es mitten durch.
Man stelle sich zunächst eine Schlucht vor und danach alles um eine Idee schroffer, drückender, halt eben "gleimer", wie der Tiroler sagt. Das Madautal ist von hemmungslosen Sturzbächen durchzogen und birgt in der Untiefe ein reißendes Gewässer. Während andere Talschaften sich bisweilen auf Gefälligkeiten einlassen, ist hier nichts davon spürbar.
Es ist allgemein ratsam, einem Ziel, das eher die Zeit als den Ort zum Inhalt hat, mit passendem Schuhwerk entgegenzugehen, damit die innere der äußeren Hülle bedächtig folgen kann. Für Leute, die mit Nasen, Ohren und Beinen sehen, tut sich dergestalt eine eigene Welt auf. Sie verstehen...

Ein Kleinod, idyllisch eingebettet inmitten von Dreitausendern.

Nach ausdauerndem Marsch weitet sich der Talschlußzu einem Kessel, der sich in die liebevolle Umarmung des Seekogels schmiegt. Wir sind am Ziel. Wir befinden uns in Madau, auf 1.308 Metern Sehöhe.

3 Madau ist Ausgangspunkt für Leute, die höher hinaus wollen, für Extrembergsteiger ebenso wie für jene Besucher, die die beschauliche Bergeinsamkeit auf Wanderwegen erleben möchten. Spiehler-Weg, Augsburger Höhenweg und der Weg zur Memminger Hütte sind gern besuchte Routen. Von Madau aus ist eine Besteigung der drei höchsten Gipfel der Lechtaler Alpen möglich:der Freispitze, 2.887m, Wetterspitze, 2.898m, und der Königin der Lechtaler Alpen, der Parseierspitze mit 3.038m.
Inmitten kurzgerupfter Grashalme ducken sich eine Kapelle, ein alter Hof, ein Wirtshaus neueren Datums und einige als Wochenendhäuser umfunktionierte "Städel" - jene Holzbauten also, in denen früher Heu eingelagert wurde, um es bei Schneelage mit den Schlitten ins Tal zu transportieren.
Einem der Häser einem stattlichen Bauernhof aus dem 16. Jahrhundert, wurde das Logieren der Sommerfrischler zum Verhängnis. Das ganz in Holzbauweise errichtete Anwesen brannte 1990 bis auf die Grundmauern nieder. Als Brandursache gilt die unsachgemäße Lagerung von Holzasche. Verschont wurden dagegen ein ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammender
Hof, der ein wenig unterhalb der Brandstätte liegt, sowie der Berggasthof "Hermine", genannt nach seiner Erbauerin und ehemaligen Wirtin. Der derzeitige Betreiber heißt Klaus Frey und ist ein Neffe dieser Fremdenverkehrspionierin. An Spitzentagen kehren hier rund 150 Gäste ein, und die 34 Gästebetten, wie auch das Touristenlager, sind voll belegt.

4 Der Klaus Frey ist außerdem einziger gezählter Bürger der Gemeinde Zams in Madau. Die Gemeinde Zams wiederum gehört zum Bezirk Landeck und ist von Madau durch ein mächtiges Bergmassiv getrennt. Also ist Madau Zammer Hinterland - beinahe ein Niemandsland. Aber gegen diese Apostrophierung hätten sowohl die Außerferner etwas wie auch die Zammer.
Madau gehört nun einmal - bei allem Respekt vor seiner topographischen Lage - nach Zams. Darauf weist nicht nur das Ortsschild am Eingang des Weilers hin, sondern auch die Hausnummern, die seltsamerweise alle Gebäude, auch die kleinsten Heuschober, tragen. Davon läßt sich jedoch der wanderfreudige Gast kaum beeindrucken, hofiert er doch weit mehr die Naturschönheiten ringsum...
Die Zammer besitzen zudem die Weiderechte, während die Grundbesitzer nordwestlich, in Bach, zu Hause sind. Die daraus resultierenden Kontroversen werden philosophisch bei einem Krügel Bier in der "Hermine" ausgetragen, wenn Zammer Bauern und Außerferner Grundbesitzer einträchtig beieinanderhocken (die Getränkesteuer für jedes Krügel Bier fließt jedoch in die Gemeindekasse von Zams).
Dann ist da noch
Edgar Frey , der Vater von Klaus, dessen Lebensgeschichte seit 35 Jahren mit Madau verknüpft ist. Der Senior half mit beim Entstehen der Gaststätte und zieht seither Jahr für Jahr in diesen abgeschiedenen Winkel. Das Jahr beginnt hier mit Pfingsten und schließt Ende Oktober. Winterurlauber gibt es keine, das wäre zu gefährlich wegen der Lawinen, die talauswärts niederkommen.

5 Aber auch die Muren überfluten immer wieder den erst 1988 asphaltierten Weg zwischen Bach und Madau. Auf der gegenüberliegenden Seite verbindet der sogenannte "Höhenweg" Madau mit dem Lechtal. Diesr ist, nach momentanem Stand, brüchig und schlecht passierbar und daher nur für Geübte zu empfehlen. Die direkte Verbindung nach Zams führt indes auf dem Weitwanderweg der E5 über die Memminger Hütte, die Seescharte und das Zammerloch hinunter nach Zams. Und das ist ein "Tageshatsch". Lohnend, aber beschwerlich. So beschwerlich, daß sogar die Almkühe den Transport über Reutte vorziehen.

Aufstieg und Niedergang einer Siedlung: "eine gar zu niedrige Seelenanzahl"

Vor vielen, vielen Jahren war alles ganz anders.Der Umstand der Besitzverhältnisse, der heute noch manches Gemüt erhitzt, läßt sich durch einen Blick in die Vergangenheit klären. Die Siedlungsgeschichte weiß, daß Jöcher und Päße nicht trennend wirkten, sondern verbindend. Die dazugehörige Biografie liefert Dr. Heinz Moser in der alten Zammer Chronik, indem er schreibt: Im orographischen Einzugsgebiet des Lechs liegt Madau. Das Hochtal, welches durch den Alperschonbach, der bei Bach in den Lech mündet, entwässert wird, ist bereits seit dem 15. Jahrhundert urkundlich bekannt. 1530 wird in einer Urkunde sogar der "Alperson"-Bach erwähnt. Ursprünglich war Madau sicherlich nur saisonweise von Zams aus als Alm besiedelt. Daraus leitet sich auch der Name "Madau" ab.

6 Diesem Weilernamen liegt in jedem Falle das vorrömische MUTT - "Alpenbärenwurz", eine Pflanze, die von den Bauern als sehr gute Weide geschätzt wird, zugrunde (nach einer Dissertation von Annemarie Schmid). Im Gemeindearchiv von Zams scheint erstmals 1479 ein "Madau" auf. Das Jagdbuch Kaiser Max´ I. verzeichnet 1500 ein "Madawn", und 89 Jahre später wird im Gemeindearchiv Zams wieder "Madau" geschrieben.
Auf dem Almgebiet entwickelte sich bald eine Dauersiedlung. Als erster Siedler wird ein gewisser Hans Lang genannt. Nach dem Leopoldinischen Steuerkataster von 1627 umfaßte die Siedlung 2 Höfe und 1 Alm. Die Namen der Höfe werden im Kataster mit "Mathighof", "Rethof" und "Alpe Sax" angegeben.
Bei der 1754 durchgeführten Volkszählung hatte der Ort bereits 22 Einwohner, und zwar 8 Männer und 14 Frauen. Durch die verhältnismäßig günstige Altersstruktur der Bewohner war der Fortbestand der Besiedlung und eine Zunahme der Bevölkerung zu erwarten. Laut der erwähnten Volkszählung gehörten 3 Männer und 7 Frauen der Altersgruppe von 15-20 Jahren, 4 Männer und Frauen der Altersgruppe von 20-40 Jahren, 1 Mann der Altersgruppe von 40-50 Jahren und nur 2 Frauen der Altersgruppe über 50 Jahre an.
Diese junge Bevölkerung Madaus war der Garant für eine gute Entwicklung in der Zukunft. In einem Bericht des Kreisamtes Imst von 1784 werden für Madau zirka 60 Einwohner angegeben. Sogar an die Errichtung einer eigenen Seelsorgestation war gedacht. Madau besaß damals bereits die heute noch stehende Kapelle.

7 Im Gedächtnis seines von einer Schneelawine erdrückten Söhnleins hatte im Jahre 1679 Oswald Singer die Kapelle zu Ehren der Hl. Dreifaltigkeit erbaut. Über dem Eingang ist eine hochrechteckige, gemalte Sonnenuhr mit römischen Zahlen und die Inschrift "1629" zu sehen. Die Kapelle trägt einen Glockenturm und eine kleine Glocke aus dem 17. Jahrhundert mahnend zur Einkehr und zur Buße.
Der Plan, einen eigenen Seelsorger für Madau zu gewinnen, wurde vom Kreisamt Imst unterstützt mit der Begründung, es sei "nicht zu zweifeln, daß sich alldort die Anzahl der Einwohner in wenigen Jahren mindestens um die Hälfte vermehren würde, wenn dieser Ort eine eigene Seelsorge erhalten sollte". Dieser Antrag,der darauf abzielte, durch Schaffung einer Seelsorgestation weitere Bewohner anzulocken, scheiterte jedoch an der Bürokratie in Wien. 1785 traf folgendes Schreiben ein. "Es kann zwar der Gemeinde Madaun bey der gar zu geringen und nur auf 60 Personen belaufenden Seelen-Anzahl der angetragende Lokalkaplan nicht bewilligt werden, jedoch ist derselben die Vertröstung zu geben, daß, wenn ihre Anzahl sich vermehren würde, auf sie auch wegen Zugebung eines Geistlichen der behörige Bedacht werde genommen werden." Damit war der Plan eines weiteren Siedlungsausbaues in Madau gescheitert.
Der Steuerkataster von Zams aus dem Jahre 1775 gibt uns folgende Familienoberhäupter für Madau an: Figl Johann, Korber Anton, Lang Anton, Meyer Josef, Schedler Josef, Shiffer Josef, Schueller Johann Georg, Singer Christian, Strobl Johann Georg, Wolf Peter und Wolf Christian Karl. Es lebten also damals 11 Familien in 7 Höfen in Madau.
 

8 Wenn man eine durchschnittliche Zahl von Familienangehörigen von je 5-6 (Dienstboten eingerechnet) annimmt, so ergäbe das die auch im Bericht von 1784 durch das Kreisamt Imst angegebene Zahl zirka von 60 Einwohner.
Madau konnte seine Bewohner jedoch nicht halten. Durch das Scheitern der Errichtung einer Lokalkaplanei scheint den Bewohnern der Anstoß gegeben worden zu sein, Madau wieder zu verlassen. 1810 kam das Hochtal vom Gericht Landeck, dem es bisher unterstellt war, zum Gericht Reutte. Wenige Jahrzehnte später war die Dauersiedlung verschwunden und Madau wieder zur Sommeralm geworden.

Die Geierwally
"...nun griff ich mit der einen Hand nach dem jungen Adler"


Was die gewissenhafte Zammer Chronik verschweigt, ist eine Begebenheit, die weitum bekannt wurde. Über Madau, in der Saxerwand, war es, da 1858 Anna Knittel mit 17 Jahren einen Adlerhorst ausgehoben hat und als "Geierwally" berühmt wurde. Nicht etwa im Ötztal, wie Buch und Film glaubhaft zu machen versuchen, sondern hier in Madau setzte die waghalsige Tochter eines Jägers und Büchsenmachers aus Elbigenalp ihr Leben aufs Spiel. "Ein Stoßgebetlein murmelnd und den Burschen wohl empfehlend, mich ja recht fest zu halten, brach ich langsam zwischen zwei mächtigen Lärchenbäumen durch...", schrieb Anna Knittel, "grausig kalt wehte der Wind vom Abgrund herauf... Bald sah ich mich von der überhängenden Felswand ganz entfernt und frei in der Luft schweben.

9 Das Seil fing an, sich zu drehen, sodaß ich nunmehr mit dem Gesicht willenlos der schrecklich schönen Aussicht zugekehrt war." Anna Knittel, verheiratete Stainer, machte diese Aufzeichnungen, nachdem sie fünf Jahre später das zweite Mal in die Wand eingestiegen war und das lebensgefährliche Abenteuer wiederholt erfolgreich bestanden hatte. "... Endlich ein starker Ruck, und nun war der langersehnte Augenblick gekommen. Ich hakte mich ein, zog mich hin und trat in das Nest. Ich fand den Gesuchten und neben ihm ein halbverzehrtes Lamm. Zuerst nun griff ich mit der einen Hand nach dem jungen Adler, welcher sich schüchtern zu sträuben anfing. Ich kniete nieder und liebkoste ihn. Behutsam holte ich den Waidsack vom Rücken, legte zuerst das angefressene Lamm hinein und deckte dann Reiser darauf, um meinem Pflegling ein weiches Nest zu bereiten. Alsdann beförderte ich diesen selbst hinein, knüpfte zu, ...lehnte mich an den zackigen Felsen, sah in das prachtvolle Tal hinaus und staunte bewundernd diese wilde Schönheit an! Gerade unter mir gähnte der Abgrund und das wüste, zerissene Tal mit gebrochenen Baumstämmen und Steinblöcken."
Adler wurden im 19. Jahrhundert in Tirol allgemein gejagt, da man um die Jungtiere in den Schafherden fürchtete, die leichte Beute des hungernden Greifvogels hätten werden können. Heute ist der Adler streng geschützt, und noch immer lassen sich die prächtigen Tiere im Madautal beobachten.
Reiche Wildbestände machen das Tal zu einem Beliebten Jagdrevier. Hochwild, wie Gemsen und Hirsche, aber auch Murmel und Spielhähne sind häufig anzutreffen.

10 Zu Zeiten der "Geierwally" mußten die Jäger, wollten sie eine Gams erlegen - es wurden damals nur Böcke erlegt, das Erlegen von Geißen war verpönt - den langen Gang von Zams durch das Zammerloch bis zum Jägerrücken oder Kühkarli auf sich nehmen. Man kann sich vorstellen, wie beschwerlich der Weg vom Parseiertal oder Röthtal mit einem 30 kg und mehr schweren Gamsbock über die Seescharte oder das Leiterjöchel nach Zams war. Daß das Jagen zu dieser Zeit nur besonders konditionsstarken Männern vorbehalten war, liegt wohl auf der Hand. Ab 1932 wurde das Jagdgebiet um Madau nicht mehr von Zams aus, sondern vom Lechtal aus bejagt.

Almsommer nach alter Übung

Wohl noch beschwerlicher war es in alter Zeit, das Vieh zur "Sömmerung" den weiten Weg bis zu den Almen bei Madau zu bringen. Der drei Tage währende Viehtrieb ging über zwei Jöcher hinab ins Röthtal, welches am niedrigsten gelegen ist und daher am frühesten eine grüne Weide aufwies.
Insgesamt umfaßt der sommerliche Weidegang, der von Juni bis Mitte September dauert, sieben (!) Stationen, auch "Läger oder "Gampen" genannt. Oft nur wenige Tage, bis hin zu vier Wochen, verweilen Vieh und Hirten an derselben Stelle, dann bricht man auf zur nächsten Weide und zur nächsten Almhütte. Das Vieh profitiert trotz der Anstrengungen von dieser ungewöhnlichen Form der Alpung, wird "nudeldick" dabei und findet stets frisches, saftiges Gras und schmackhafte Bergblumen vor. Wanderalpen sind heute äußerst selten anzutreffen.

11 Aufgrund der besonderen Anforderungen an die Hirten ist kaum jemand mehr bereit, die damit verbundenen Strapazen auf sich zu nehmen.
In Madau werden auf Zammer Weidegebiet derzeit rund 100 Rinder, 20 Pferde und etwa 300 Schafe von einem Hirten und einem Beihirten betreut. Daß es sich bei den "Rindviechern" um Galtvieh (galt = trocken), ohne Milchleistung, handelt, versteht sich unter diesen Umständen von selbst.
So akkurat seit jeher der Weidegang vorgeschrieben ist und Verfehlungen wie Übertritte auf fremdes Gebiet geahndet wurden, ebenso alt sind die Schneefluchtrechte, nach denen es gestattet ist, bei Schneefall für kurze Zeit tiefergelegenes, auch fremdes Eigentum aufzusuchen, d.h. zuweilen auch rund um die Höfe von Madau zu lagern.
Altertümlich anmutend und aus dem Ringen jener Tage um jeden nutzbaren Flecken Erde entstanden sein dürfte die Gemeinschaft Alpinteressenten, die in Zams "Gedingstatt" heißt. Die Rechte innerhalb der Gedingstatt entsprechen dem Verhältnis der Stückzahl an Vieh, welches prozentuell unter vier Fraktionen - Zams, Zammerberg, Schönwies und Landeck-Angedair - aufzuteilen ist. Die Anzahl der Rinder ist seit Jahren einigermaßen konstant geblieben, während bei den Schafen 1950 noch 1.000 Stück gezählt wurden, in den 60ern eine starke Einbuße zu verzeichnen war, bis schließlich 1973 überhaupt keine Schafe mehr aufgetrieben wurden. Erst seit 1988 dürfen auch wieder Schafe - wie ehedem "nach alter Übung" - hinter den Rindern herweiden.

12 Noch vor dem Zweiten Weltkrieg war das Almgebiet bei Madau geteilt in die Schafalm auf den rechtsseitigen Hängen des Parseiertales mit eigenem Schafhirten und in die Ochsenalm, diedem Großvieh vorbehalten war. Die Saxalpe dagegen, in unmittelbarer Nähe von Madau, wurde und wird - obwohl auf Zammer Gemeindegebiet - stets von Bach aus "bestoßen".
Der Viehtrieb von Zams nach Madau wurde bis ins Jahr 1957 durchgeführt. Ab diesem Zeitpunkt werden die Tiere per Lastwagen nach Bach transportiert und von dort aus nach Madau ins Röthtal getrieben. Die Heimkehr erfolgt jedoch noch immer "auf vier Hufen" über den Bergkamm bis nach Zams.
Ein einmaliges Zeitdokument ist jedoch vom Almauftrieb der Haflingerpferde erhalten geblieben. Hermann Haueis aus Zams hat innerhalb von 16 Jahren, von 1940 bis 1956, den Zug der Haflinger von Zams bis Madau im Film festgehalten. Die eindrucksvollen Bilder dokumentieren den überaus gefahr- und mühevollen Marsch über die Jöcher bis zu den Weidegebieten nach Madau. Noch vor dem Almauftrieb brachen die Burschen und Männer des Dorfes auf, um die meterhohen Schneewächten, die im Juni noch den Weg versperrten, abzutragen. Wo es nicht anders ging, wurden Tunels in den Schnee geschaufelt, um ungefährdet passieren zu können. Um den 10. Juni herum war es dann soweit. 20 Pferde und fast ebenso viele Begleiter machten sich in der Nacht auf, um vor Sonnenaufgang über die Schneefelder zu gelangen. Die Einbruchsgefahr wäre sonst zu groß geworden. Die Strapazen waren ungeheuer.

13 Tier und Mensch quälten sich durch Schnee, Fels und Geröllhalden, wo oft kaum ein Fußbreit Weg vorhanden war. Und das bei jedem Wetter. Dramatisch, ja tödlich konnte ein Nebeleinbruch verlaufen. Nur Leute, die in diesem Gelände mit jedem Fußbreit vertraut waren, wurden auf dieses Unternehmen mitgenommen. Es scheint heute noch wie ein Wunder, daß niemand je dabei zu Schaden kam. 1956 nahmen die Haflinger von Zams zum letzten Mal den Weg über die 2.500 Meter hohe Seescharte nach Madau.
Etwas wie vorweggenommener Trennungsschmerz liegt im Bewußtsein der Tatsache, daß die Tage des Almsommers in Madau gezählt sein könnten. Es wird allgemein immer schwieriger, Hirten zu finden. Wer aber findet Gefallen an einer Tätigkeit, die ihm das Äußerste abverlangt, wenig Anerkennung bringt und noch weniger Lohn - wie dies bei einer Wanderalpe der Fall ist!

 

14 Ds Schicksal einer Alm ohne Vieh aber läßt sich unschwer an dem westlich bei Madau einmündenden Alperschontal ablesen. Seit Jahren sich selber überlassen, schießt eintöniger Blattwuchs ins Kraut, und eine unangenehme Verbuschung breitet sich aus. Das Tal "vergandet". Es entsteht die kummervolle Einsicht, daß Bauernfleiß hier nichts mehr zählt. Daß der tiefgreifende Werte- und Strukturwandel, der unsere Gesellschaft erfaßt hat, eine Landschaft in Bedeutungslosigkeit versinken läßt!
Madau dessen ungeachtet bleibt. Eine Welt hinter der Welt.
Abgeschirmt und versteckt.
In nächster Nähe zu Gnomen, Saligen Fräuleins und sonstigen Berggeistern.
Jeden Sommer wiedererweckt zu blühendem Leben.